„ich hab ein Impingement“ … ja aber was hast du? „ein Impingement“. Achso, jetzt hab ichs verstanden …
Ein Impingement-SYNDROM ist ein Symptomkomplex eines Gelenks, bei welchem eine nicht näher beschriebene Struktur „einklemmt“. Neben knöchernen Problemen wie einem Sporn und Kalk, kann die Ursache eine Narbe, ein hypertrophierter Muskel oder auch ein funktionelles Problem sein – falsche Führung eines Gelenks. Heißt es immer. Ganz so, wie man sich das vorstellt, ist es aber leider nicht.
Was sind die Ursachen eines Impingementsyndroms (der Schulter)?
Eine Kyphose der Brustwirbelsäule, mit folgender Protraktion der Schulterblätter, galt lange Zeit als einer der Hauptgründe für ein Impingement („einklemmen“) der Schulter. Untersuchungen, welche diesen Mechanismus bestätigen, gibt es aber nicht wirklich gute. Eher das Gegenteil:
Die Protraktion der Schulterblätter und eine Kyphose der BWS (Brustwirbelsäule) ist keine direkte mechanische Ursache für ein Impingementsyndrom der Schulter. Das wurde nämlich weder an Gesunden, noch an Patienten mit subakromialen Impingement bestätigt. Auch korrelieren Schmerzen nicht direkt mit der Bildgebung. Selbst wenn Kalkt gefunden wird, muss es nicht heißen, dass der Patient Beschwerden hat. Häufige Ursachen für ein Impingement, wir nennen es gleich anders, warte noch, sind aber oftmals Veränderungen des Schulterdachs (Acromion). Diese Veränderungen werden nach Bigliani-Typen eingeteilt: Typ 3 ist ein hackenförmiges Acromion und korreliert tatsächlich eher mit subacromialen Impingement-Problematiken. Dieses hackenförmige Acromion bildet sich beispielsweise stärker aus, wenn das Ligemantum Coracoacromiale vermehrter Zugbelastung ausgesetzt ist. Beispielsweise durch Aktivität des Bizepses? Oder durch vermehrte Supinationsbewegungen (Schrauben drehen …) im Ellbogengelenk? Vielleicht. Vielleicht sind dann Bizepscurls der Grund für ein Impingementsyndrom der Schulter? Vielleicht. De ja vu.
Folgende Ursachen werden diskutiert …
Risse, Überlastung, sekundär durch Instabilität, Narben infolge von kleinen Rissen, Gelenkabnormalitäten / Varianten, Muskelvarianten, Verkalkungen, kongenitale Veränderungen, funktionelle Faktoren wie Schwäche, Koordinationsproblematiken, fehlende Positionskontrolle der Scapula (also Schulterblatt) und noch viele mehr … so richtig schlüssig ist das bisher nicht erforscht, auch wenn es logisch klingt. Eine Operation, z.B. als subacromiale Dekompression, bringt meistens keine besseren Ergebnisse, als den Arm einfach zu schonen. Warum eine OP oft trotzdem funktioniert? Weil der Patient durch die OP-Verletzung gezwungen wird den Arm zu entlasten und im Anschluss eine Reha-Phase durchmacht, die er nicht machen würde, wenn er keine OP gehabt hätte! Die relative Ruhe und die anschließende progressive Belastungssteigerung ist wahrscheinlich das, was zum Erfolg führt. Nicht zwingend die Operation! Das ist schon Wahnsinn, oder?
Da die Ursachen nicht direkt klar sind und eine „Einklemmung“ zwar plausibel klingt, aber nicht zu 100% belegt ist, sollten wir es statt Impingement, lieber „subacromiales Schmerzsyndrom“ nennen. Dass ein Einklemmen eine MÖGLICHE Ursache sein KANN, ist ja zumindest nicht wiederlegt! Es gibt dann vielleicht einfach mehrere Ursachen.
DAS SCHULTERBLATT ALS PROBLEMKIND DES SUBACROMIALEN SCHMERZSYNDROMS?
Eine richtige Führung des Schulterblattes sorgt zumindest in der Theorie dafür, dass es zu weniger Einklemmungserscheinungen kommt. Hier wird es aber schon schwierig. Einklemmung ist nicht unbedingt erforderlich für ein Impingement / subacromiales Schmerzsyndrom, noch ist die optimale Stellung des Schulterblattes nicht bekannt – nur in der Theorie! Da keine Optimalstellung existiert, sollten wir lieber die Finger davon lassen, hier irgendwas optimieren zu wollen, oder? Nur weil wir glauben, wir wüssten es besser als Mutter Natur und unser Körper!
Zur Behandlung von den subacromialen Beschwerden (des „Impingementsyndroms“) hat sich eine Trainingstherapie etabliert, welche oftmals die manuelle Therapie und andere passive Maßnahmen, zur Beseitigung der Probleme / Schmerzen, schlägt. Eine altbewährte Übung sind die Scapula-Pushups, welche durch eine verstärkte Protraktion am Ende einer Liegestütz, vor allem den Serratus Anterior trainieren. Hier geht es aber nicht um die Protraktion an sich, sondern um die Ansteuerung des Serratus. Dieser dreht das Schulterblatt bei Überkopfbewegungen nach kranio-lateral, so, dass die Cavitas Glenoidale des Schultergelenks nach oben-seitlich zeigt. Auch zeigt sich bei Patienten mit entsprechenden Schulterbeschwerden eine Abschwächung der Aussenrotatoren – diese zu trainieren ist in der Regel nicht verkehrt.
DER SCAPULO-THORAKALE-RHYTHMUS
Wenn du den Arm über Kopf bewegen möchtest, darfst du dich nicht nur auf dein „Schultergelenk“ konzentrieren (das Schultergelenk als solches gibt es nicht, es handelt sich eher um einen Gelenkkomplex, was ich in diesem Fall mit Schultergelenk meine, ist genau das, woran du als erstes denkst: das Glenohumeralgelenk). Das Schultergelenk bewegt deinen Arm nur bis etwa 90-110°, um den Arm komplett über Kopf zu bewegen, dreht im Anschluss das Schulterblatt* nach vorne-aussen. Die obere Kannte der Margo Medialis der Scapula, also der obere Teil der Innenkante des Schulterblatts, bewegt sich dabei zur Wirbelsäule hin – der Angulus Inferior der Scapula, also die untere Spitze des Schulterblattes, bewegt sich von der Wirbelsäule weg. Zudem kommt es zu einer Aussenrotation im Schultergelenk. Eine Innenrotation und Depression des Schulterblattes, sowie eine Innenrotation des Schultergelenks führen zu einer Verringerung des subscromialen Raumes.
Hier ist ein komplexes Zusammenspiel unterschiedlicher Muskeln wichtig. Der Serratus Anterior, der Trapezius (Pars Ascendens / untere Teil) sind wichtig für die Aussenrotation. Der mittlere Trapez, der obere Trapez (Pars Descendens), die Rhomboideen und noch eine ganze Reihe anderer Muskeln wie der Omohydeus, der Levator Scapulae und so weiter, sind an der Stabilisierung und Feinkoordination beteiligt.
*DIE BEWEGUNGEN DES SCHULTERBLATTS: Kurz. Depression bedeutet, dass das Schulterblatt nach unten gezogen wird. Elevation nach oben. Protraktion nach vorne. Retraktion nach hinten. Aussen- und Innenrotation ist ein komplexes Zusammenspiel unterschiedlicher Muskeln, bei welchem das Schulterblatt (der Angulus inferior) nach aussen bzw. innen dreht.
SCHULTERBLATTSTELLUNG WÄHREND KLIMMZÜGEN
Eine mögliche Ursache für eine Problematik im subacromialen Bereich ist ein „Reinfuschen“ in die Mechanik des Körpers. Beispielsweise wird oft empfohlen das Schulterblatt nach unten-hinten zu ziehen um einen Klimmzug, aus dem Hang, einzuleiten. Allerdings führt das zu einer Innenrotation des Schulterblatts, obwohl der Arm über Kopf steht. Solch eine Aktion reduziert den subacromialen Raum und ist zumindest in der Theorie ein Verursacher für ein „Impingement“. Es wird gesagt, dass die Depression den unteren Trapeziusanteil ansteuert – daher sei es gut die Schulter in Depression zu bringen– denn der untere Trapez macht ja eine Aussenrotation. Nein. Nur weil der untere Trapez eine Aussenrotation UND eine Depression macht, heißt es doch noch lange nicht, dass eine Aussenrotation stattfindet, wenn du eine Depression machst. So ein Unsinn. Du benötigst bei Überkopfbewegungen die Kombination von Elevation und Aussenrotation, nicht Depression und Aussenrotation. Wenn du eine Depression machst – dann machst du eine Depression. Da müssen wir nicht weiter fachsimpeln. Wenn dann müsste das Kommando heißen: „spanne isoliert deinen Pars Ascendens des Trapezius an“. Oder willst du mich verarschen?
Am Beispiel des Serratus Anterior verstehst du es vielleicht besser:
Dieser Muskel macht eine Aussenrotation des Schulterblatts UND eine Protraktion. Protraktion ist eher zu vermeiden bei einer Überkopfbewegung – trotzdem führt ein Training der Protraktion dazu, dass du den Serratus trainierst und diesen unbewusst bei Überkopfbewegungen mit ansteuerst. Aber du machst bei Überkopfbewegungen keine Protraktion um den Serratus anzusteuern, sondern benutzt es nur als Trainingsmittel. Eine Protraktionsstellung geht oft mit gesteigertem Tonus des Pectoralis Minor einher und kann zu Problemen im Schulterbereich führen – grade auch was das Impingement- und Thoracis-Outlet-Syndrom angeht. Nochmal: eine Bewegung ist nicht eine Funktion eines isolierten Muskels – daher kannst du eine isolierte Funktion eines Muskels auch nicht abrufen, indem du bewusst eine Bewegung machst.
Problematisch ist eine „selbst erfundene Einleitung einer Bewegung“ (glaub mir, der Körper weiß es besser als du), durch welche der Rhythmus auch bei Alltagsbewegungen verändert werden kann. Ähnlich wie, dass die Schulterblattretraktion beim Bankdrücken machen kann, kann es die Schulterblattdepression bei Klimmzügen. Und das ist nicht gut. Wenn, dann musst du alle 12 beteiligten Muskeln in richtiger Reihenfolge ansteuern – und nicht nur eine BEWEGUNG machen. Die Funktion eines Muskels spielt keine Rolle, da wir hier über BEWEGUNGEN sprechen. Eine Bewegung ist keine isolierte Aktion eines isolierten Muskels, sondern, vor allem auf Schulterblattebene, eine komplexe Wechselwirkung.
Wenn du immer noch denkst, dass die Depression und Retraktion der Schulter die Überkopfbewegung erleichtert, dann mach mal folgenden Test:
Zieh das Schulterblatt nach hinten und unten und versuch den Arm zu heben. Geht nicht. Siehste? Wenn doch, dann hast du das Schulterblatt nicht fixiert. Also mach das richtig.
Zusammengefasst bedeutet das: LASS DAS SCHULTERBLATT IN RUHE. DU SOLLST DAS SCHULTERBLATT NICHT FIXIEREN BEI EINER NATÜRLICHEN BEWEGUNG!!!
SCHULTERSCHMERZ DURCH KLIMMZÜGE?
Zudem kann der Klimmzug selbst, auch ohne, dass du irgendwas am Schulterblatt änderst, theoretisch zumindest, zu einem subacromialen Problem führen. Der Hauptbewegungsmuskel während des Klimmzugs ist der Latissimus*. Der Latissimus hat in über 79% der Fälle eine Verbindung zum Angulus Inferior des Schulterblatts und sorgt für eine Innenrotation desselben. Zudem rotiert der Latissimus das Schultergelenk nach innen und sorgt für eine Adduktion und Retroversion im Schultergelenk. Also genau entgegengesetzt dessen, was wir bei Überkopfbewegungen benötigen! Die Aktivität des Trapezius Pars Ascendens (der untere / aufsteigende Teil) ist essentiell, damit das Schulterblatt nicht vom Latissimus nach innen gedreht wird. Eine Depression wirkt aber entgegen der Elevation und ist keine Option. In Untersuchungen zum Thema geht es nicht darum, dass du eine natürliche Bewegung veränderst (komm schon, meinst du, dass King Kong sich Gedanken über sein Schulterblatt macht, wenn er einen Wolkenkratzer hinaufklettert?), sondern einfach nur alle Muskeln drumherum ansteuern kannst. Bei Patienten mit einer subacromialen Problematik finden sich beispielsweise niedrigere Aktivitäten und verlangsamte Ansteuerung der unteren und mittleren Trapezius Anteile, sowie des Serratus Anterior. Hier wird erfolgreich empfohlen die Retraktion, die Depression, die Protraktion und die Elevation separat zu trainieren.
Ebenso verbessern Liegestütz auf instabilen Untergründen die Aktivierung des oberen, mittleren Trapezius und des Serratus Anterior stärker, als normale Liegestütz. Weshalb diese bei Impingementsyndromen empfohlen werden.
* Verlauf des Latissimus: „… origin of the latissimus dorsi is from spinous processes of thoracic T7–T12, thoracolumbar fascia, iliac crest and inferior 3 or 4 ribs, inferior angle of scapula and insertion on floor of intertubercular groove of the humerus … „
Aufgabe des Latissimus: „ … It extends, adducts and medially rotates the humerus at the shoulder; draws the inferior angle of the scapula inferior and medial (draws shoulder downward and backward). The synergistic muscles are rhomboids, pectoralis major, teres major. Variation in the muscle in the latissimus dorsi is not uncommon …“
Oldschool-Video zum Thema Schulterschmerz durch Klimmzüge … folgst du mir eigentlich auf Youtube?
AUFRECHTES RUDERN IST EINE SCHLECHTE ÜBUNG!
Neben Klimmzügen kann das aufrechte Rudern Probleme auf subacromiale Ebene machen. Hier bewegst du deinen Arm über 90° und drehst im Schultergelenk dabei in Innenrotation. Dies wäre ein direkter Provokationstest für ein Impingement. Sollte man das oft und repetitiv trainieren? 3×12 Wiederholungen mit einem Provokationstest? Du trainierst damit super deine Schultermuskeln, zerfickst aber gleichzeitig dein Schultergelenk. Vielleicht musst du einfach Prioritäten setzen …
BEHANDLUNG IMPINGEMENT-SYNDROM?
Da es nicht „DAS Impingement“ gibt, muss die Therapie IMMER individuell gestaltet werden. Grobe Richtlinien können sein:
In der Akutphase keine Überkopfbewegungen und maximale Rotationen vermeiden. Bei hängendem Arm die Schultergürtelkontrolle verbessern. Relative Ruhe des Arms. Später Integration von Rudern, Revers Flys, Scapula Pushups und Training der Rotatorenmanschette auf instabilen Untergründen.
DER WEISHEIT LETZTER SCHISS
Oft wird Anatomie als eine in Stein gemeißelte Wissenschaft gesehen – allerdings gibt es viele Abweichungen, viele individuelle Strukturen, Abweichungen, sagte ich das schon? Grade was das Thema Schulter und Schulterblatt angeht, bewegen wir uns auf einem ziemlich komplexen Gebiet. Zusammengefasst heißt das: Wenn du keine Ahnung hast, dann halt einfach mal deine Fresse!
Mehr zum Thema Klimmzug? Check unseren Klimmzug-Guide!
QUELLEN:
J Orthop. 2013 Mar; 10(1): 25–28.
Published online 2013 Mar 7. doi: 10.1016/j.jor.2013.01.002
Variation in the insertion of the latissimus dorsi & its clinical importance
C.R. Bhatt,b,∗ B. Prajapati,b D.S. Patil,a V.D. Patel,a Binodkumar G.P. Singh,a and C.D. Mehtac
Trials. 2015 May 9;16:210. doi: 10.1186/s13063-015-0725-y.
The CSAW Study (Can Shoulder Arthroscopy Work?) – a placebo-controlled surgical intervention trial assessing the clinical and cost effectiveness of arthroscopic subacromial decompression for shoulder pain: study protocol for a randomised controlled trial.
Beard D1, Rees J2, Rombach I3, Cooper C4, Cook J5, Merritt N6, Gray A7, Gwilym S8, Judge A9, Savulescu J10, Moser J11, Donovan J12, Jepson M13, Wilson C13, Tracey I14, Wartolowska K15, Dean B16, Carr A17; CSAW Study Group.
Subacromial impingement syndrome -Effectiveness of physiotherapy and manual therapy
Article · Literature Review · November 2013 with 1,867 Reads
DOI: 10.1136/bjsports-2012-091802 · Source: PubMed
Cite this publication
Lukas Gebremariam, Elaine M Hay, Renske van der Sande, Bionka Huisstede
Exercise therapy is evidence-based treatment of shoulder impingement syndrome. Current practice or recommendation only
Article · March 2013 with 1,310 Reads
Source: PubMed
Cite this publication
Jari Ylinen, M Vuorenmaa, Juha Paloneva, Arja Häkkinen
Optimal management of shoulder impingement syndrome
Article · Literature Review · February 2014 with 283 Reads
DOI: 10.2147/OAJSM.S36646 · Source: PubMed
Cite this publication
Rafael F Escamilla, Todd Hooks, Kevin E Wilk
Subacromial impingement syndrome: a musculoskeletal condition or a clinical illusion?
Article · October 2011 with 3,283 Reads
DOI: 10.1179/1743288X11Y.0000000027
Cite this publication
Jeremy S Lewis
The Upright Row: Implications for Preventing Subacromial Impingement
Article · October 2011 with 1,116 Reads
DOI: 10.1519/SSC.0b013e31822ec3e3
Cite this publication
Brad J Schoenfeld, Morey J Kolber, Jonathan E Haimes
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